Seit vielen Jahren hilft mir Psalm 131,1f., um zur Ruhe zu finden:
„Herr, nicht hochmütig ist mein Herz,
und nicht schaue ich auf andere herab;
und nicht gehe ich mit Dingen um,
die zu groß und unerreichbar für mich sind.
Vielmehr habe ich besänftigt
und gestillt meine Seele;
wie ein Kind auf seiner Mutter,
wie das Kind auf mir ist meine Seele.“
Von der Gattung her handelt es sich um ein „Wallfahrtslied“: die Israeliten pilgerten nach Jerusalem zum Tempel, dem Ort der Gegenwart Gottes. Dieser Psalm führt mich auf einen inneren Weg zu Gott. Gedanken, die mich verfolgen, Sorgen, Konflikte Ungelebtes, alles, was mich umtreibt – damit komme ich zu Gott. Auch mit meinem Hochmut: Wo ich auf andere herabschaue und sie ungerecht beurteile – da verliere ich letztlich sie und mich selbst. Da bin ich nicht mehr wirklich bei mir, weiß ich doch: Es könnte noch ganz anders sein, als es mir scheint. Der andere hat vielleicht erlebt, was ich noch nicht verstehe. Hochmut isoliert und macht einsam.
Der Psalm spielt auf Hiob an (Hiob 5,9; 9,10) und auf damit verbundene schmerzliche Erfahrungen: Unschuldiges Leiden, Krankheit, Verlust, Hass, Unrecht, Missbrauch und Gewalt. Und wie kann das dann aussehen, meine Seele auf mich legen und sie stillen? Indem ich klage und mit Gott ringe: „Und du, Gott, schaust zu? Du, der du Gerechtigkeit liebst, warum greifst du nicht ein? Ich verstehe dich nicht.“ Indem ich mit Hiob nachdenke, bis an die Grenzen meines Verstehens gelange – und sie schließlich bejahen lerne. Indem Gott zu mir sagt: „Ich verstehe dich, wie schwer es für dich ist, mich als gerecht und gütig glauben zu können.“ Was für ein Trost: Ihn muss ich nicht in allem begreifen, und dennoch tut mir seine Nähe gut. Ein Säugling muss seine Mutter nicht verstehen, und doch nährt und beruhigt ihn die Mutterbrust. Psalmen helfen mir, mich Gott zu überlassen und bei ihm Ruhe zu finden – auch weil er versprochen hat, endgültig Recht zu schaffen.