Sie* wurde als kleines Kind über Jahre von einem nahen Verwandten missbraucht. Als sie ein Teenager wurde, hörte der Missbrauch auf. Die Wunden, die das schreckliche Erleben hinterlassen hatte, blieben. Sie prägten ihr Denken, Fühlen und Erleben – und vor allem ihre Beziehungen. Sie sehnte sich nach einem Partner, aber es fiel ihr schwer, sich einem Mann anzuvertrauen. Sie hatte mit psychischen Problemen zu kämpfen. Nach Jahren vertraute sie sich ihren Eltern an.
Dann geschah das Schreckliche. Anstelle von Verständnis und Einfühlungsvermögen erlebte sie, dass die Eltern schockiert reagierten. Statt Unterstützung und Zuspruch bekam sie Druck: „Auf keinen Fall kann das bekannt werden, das zerstört unsere Familie. Und überhaupt: wir sind Christen, du musst ihm vergeben und dich mit ihm versöhnen.“
Als sie ihren Eltern klarzumachen versuchte, dass sie diesem Menschen keinesfalls je wieder unter die Augen treten könnte, gab es Unverständnis und noch mehr Druck: „Du musst dich versöhnen!“
Unter diesem Druck zerbrach sie fast. Sie brach den Kontakt zu den Eltern und der Verwandtschaft ab. Im Lauf der Jahre lernte sie den Unterschied von Vergebung und Versöhnung kennen. Mithilfe von Therapie und Seelsorge legte sie in einem langen Prozess die Last ab, die auf ihr durch das Tun eines anderen lag. Sie lernte Beziehung zu leben und Vertrauen zu Menschen zu fassen. Dem Verwandten trat sie dennoch nie mehr unter die Augen.
*Der Name der Autorin ist der Redaktion bekannt.