Texterklärung
In diesem Bibelabschnitt Micha 6,1-8 fällt die Entscheidung über ein gelingendes oder verfehltes Gottesverhältnis wie so oft – im Alltag. Es entscheidet sich an der Frage nach dem Guten! Und dazu sind keine neuen Maßstäbe nötig, sondern die Orientierung an den längst bekannten. Diese Maßstäbe lassen sich nicht auf unsere persönliche Frömmigkeit reduzieren, sondern sollen für andere sichtbar sein: „Es wurde dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet: das Rechte tun, Nachsicht mit anderen haben und bewusst den Weg mit deinem Gott gehen“ (Micha 6,8; BasisBibel).
Gottes Auseinandersetzung mit Israel
Gott führt einen Rechtsstreit mit seinem Volk. Es ist aber ein sehr untypischer Prozess: Es gibt keine Einberufung einer Rechtsversammlung, keine Anklage, keinen Urteilsspruch, sondern eine Selbstverteidigung Gottes – der liebevoll um sein Volk wirbt.
Vers 1: Das Volk wird von Gott selbst zu einem erneuten Hören aufgefordert. Und alles, was jetzt folgt, finde vor den „Ohren der Völker“ statt. Die Berge stehen als Chiffre, also als Beispiel für die Völker, die alles mitbekommen.
Vers 2: Jetzt beginnt die Prozesseröffnung: „Der Herr hat einen Rechtsstreit mit seinem Volk“.
Vers 3: Aber was ist das für ein Prozess? Statt Anklage und Urteilsspruch eine werbende Selbstverteidigung Gottes: „Mein Volk, was habe ich dir getan? Habe ich etwa zu viel von dir verlangt?“ Diese liebevolle und erstaunliche Rede Gottes wirbt um sein Volk. Wie ungewöhnlich ist das denn? Keine Anklage, keine Beschuldigung, stattdessen liebevolles Werben. Gott fordert das Volk auf, deutlich zu sagen, warum es unzufrieden ist.
Vers 4-5: Das Volk antwortet nun nicht darauf, sondern Gott selbst erinnert das Volk an ihre Geschichte mit ihm: Ich habe dich aus der Sklaverei in Ägypten befreit, ich habe Mose, Aaron und Mirjam vor dir her gesandt. (Ungewöhnlich, dass an dieser Stelle neben Mose und Aaron auch Mirjam genannt ist.) Balak und Biliam, Schittim und Gilgal sollen an den Einzug in das verheißene Land erinnern. Gottes Taten sind begleitet von seinen Zeugen. Gott erinnert sein Volk an das, was er für sie getan hat. Welche Erinnerung brauche ich? „Vergiss es nicht, was er dir Gutes getan hat!“
Vers 6-7: Jetzt kommt endlich die längst überfällige Antwort des Volkes: „Womit soll ich vor den Herrn treten? Wie kann ich mich angemessen verhalten gegenüber dem Gott, der in der Höhe wohnt?“ – Die Frage: Wie kann ich Gott „besänftigen“, der so viel größer ist als ich – zumindest diese Tendenz kenne ich doch aus meinem eigenen Herzen. Aber der Satz „Gott, der in der Höhe wohnt“ macht noch einmal deutlich, wie groß der Unterschied zwischen Gott und dem Volk ist. Da liegen Welten dazwischen. Was das Volk anbietet, toppt ja nun auch jedes gewöhnliche Opfer: einjährige Rinder, 1000 Widder, 10000 Krüge mit Olivenöl und schließlich sogar der Erstgeborene. Diese Dimension überschreitet alles übliche Opfern, außerdem war das Opfer der Erstgeburt seid der Exilzeit ein todeswürdiges Verbrechen, dessen Unterlassung Israel von den Heiden unterscheidet (vgl. 5Mo 12,31).
Vers 8: Jetzt folgt so etwas wie eine Zusammenfassung und Zuspitzung der Botschaft: „Es ist dir mitgeteilt, Mensch, was gut ist und was Jahwe bei dir sucht: Nichts anderes als Recht üben, Freundlichkeit lieben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott!“ (Übersetzung Hans Walter Wolff). Bei dem „was gut ist“ geht es nicht um Vorwürfe, die Gott seinem Volk macht. Auch Überforderung hat hier keinen Platz, sondern das, was Gott beim Volk (bei uns!) sucht, was er uns getan hat. Es geht also nicht um die Frage: „Womit?“ sondern „Wer?“ Andrerseits ist diese Botschaft aber auch sehr konkret.
Kernbotschaft
Recht üben: Das Recht nicht nur zu kennen, sondern es auch zu tun, ist die Kernbotschaft des Propheten Micha. Es geht darum, Witwen und Waisen Recht zu schaffen, Menschen ohne Rechtsbeistand beizustehen, Zerstrittene zu verbinden und zerbrochene Gemeinschaft zu heilen. Freundlichkeit lieben: Das ist mehr als oberflächlich Freundlichkeit, sondern zeigt sich in einer Gemeinschaft, die liebevoll miteinander umgeht. Jesus weist darauf hin im Doppelgebot der Liebe (Mk 12,30-31).
Aufmerksam mitgehen mit deinem Gott: Bei den ersten beiden Aufforderungen geht es um das Verhältnis zu den Menschen. Jetzt geht es um Gott selbst und wie wir mit ihm unterwegs sind: Aufmerksam, wachsam, besonnen.
Fragen zum Gespräch
- Wer Lust hat, kann diesen Abschnitt einmal nach der Übersetzung der BasisBibel lesen. Was fällt mir auf, im Vergleich zur vertrauten Lutherübersetzung?
- Recht üben, Freundlichkeit lieben, aufmerksam mitgehen mit deinem Gott: Was fordert mich an der Stelle aktuell am meisten heraus?
- Wofür sind wir als Christinnen und Christen eigentlich bekannt? Die, die Recht üben und Freundlichkeit lieben? Was bedeutet das im Hinblick auf manche aktuellen Debatten?