„Wie ein Fest nach langer Trauer … So muss der wahre Friede sein.
Jürgen Werth, Evangelisches Gesangbuch (Nr. 660)
So ist Versöhnung. So ist Vergeben und Verzeihn.“ (EG 660).
Jürgen Werth schrieb dieses Lied Immer wieder gerne gesungen, ist es eines der modernen Klassiker. Versöhnung. Nein, das Wort leitet sich nicht von dem Wort „Sohn“ ab, was man vermuten könnte, da der Quell aller Versöhnung für uns in Jesus Christus liegt. Das Wort leitet sich ab von Sühne. Wiedergutmachung. Ein Ausgleich für zugefügtes Unrecht. Einen Streit zwischen Gegnern schlichten.
Warum braucht es Versöhnung?
Es ist etwas nicht in der Ordnung, in der es sein sollte. Es ist etwas im Unfrieden. Was das sein kann, ist für mich eindrucksvoll in dem Lied „I am the man“ des amerikanischen Sängers Greg Ferguson ausgedrückt, in dem er beschreibt, was Sünde ist. Das Lied ist eigentlich ein Gebet. Eine Übersetzung ins Deutsche könnte so aussehen: „Ich bin ein Mann, gebrochen durch all die Dinge, die ich getan habe. Ich war blind. Ich war gefühllos über alle die Weisen, auf denen ich dir Leid zugefügt habe. Habe ich dich verwundet, Gott, war ich der Grund, dass du geweint hast? Hast du die Geduld verloren wegen jemandem, der so ist, wie ich? Ich habe gelernt, dass deine Gnade bis zum Himmel reicht.
Obwohl ich dich verwundet habe, Herr, obwohl ich dich zum Weinen gebracht habe: Du wirst solche wie mich nie im Stich lassen. Denn ich habe gelernt, dass deine Liebe bis zum Himmel reicht. Deshalb danke ich dir, mein Gott, dass deine Liebe nie stirbt.
Greg Ferguson
Daher bitte ich dich, Gott, mir noch ein weiteres Mal zu vergeben. Herr, ich weiß nicht, wo ich beginnen soll, die Kosten all meiner Sünden zu zählen. Wie konnte ich Tag für Tag weitermachen, deine Liebe für mich auf diese Weise zu prüfen. Nimm meine Tränen. Nimm meinen Stolz, nimm das Hässliche in mir. Halte das alles an dein Herz und habe Erbarmen. Vergib mir, Gott. Ich bin ein Mann, gebrochen durch all die Dinge, die ich getan habe. Ich war blind. Ich war gefühllos. Ich habe auf deiner treuen Liebe herumgetrampelt. Obwohl ich dich verwundet habe, Herr, obwohl ich dich zum Weinen gebracht habe: Du wirst solche wie mich nie im Stich lassen. Denn ich habe gelernt, dass deine Liebe bis zum Himmel reicht. Deshalb danke ich dir, mein Gott, dass deine Liebe nie stirbt.“
So werden die Sünde und die Bitte um Vergebung beschrieben. Ein Leben ist nicht so, wie es sein sollte. Menschen sind an Gott schuldig geworden. Sie haben ihm durch ihr Denken, Reden und Handeln Leid zugefügt. Und nun bietet Gott Versöhnung an.
Versöhnung muss angeboten und angenommen werden
Während Vergebung etwas ist, das auch einseitig geschehen kann, indem ich jemandem vergebe – unter Umständen sogar ohne, dass derjenige etwas davon weiß, sind für Versöhnung zwei Seiten nötig. Es ist der nötig, der Versöhnung anbietet und der, der Versöhnung annimmt. Es wird eine Hand angeboten und diese Hand muss angenommen werden. Versöhnung ist not-wendig, wenn etwas wieder gutgemacht werden muss. Es wendet die Not, die entstanden ist. Es muss ein Streit geschlichtet oder Unrecht aus dem Weg geräumt werden.
Das Angebot der Versöhnung geht vom Opfer aus.
Friederike Wagner
Gott bietet Versöhnung an
In der Bibel geht Versöhnung von Gott aus. Der vielleicht bekannteste Bibeltext dazu befindet sich im 2. Korintherbrief 5,19f.: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“
Das Angebot der Versöhnung geht vom Opfer aus. Von dem, dem etwas angetan wurde. Von dem in der schwächeren Position. Nur von dort kann die Versöhnung ihren Anfang nehmen. Damit begibt sich der, der schon einmal verletzt wurde, wieder in eine verletzliche Lage. Es besteht die Möglichkeit, dass sein Angebot ausgeschlagen wird.
Dem Menschen ist sehr wohl klar, dass er Gott etwas schuldig ist. Sonst würde es nicht die Opfervorschriften in den Büchern Mose geben. Es wird versucht, einen Ausgleich zu machen für begangenes Fehlverhalten. Nun aber begleicht Gott selbst die Rechnung.
Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!
Die BIbel, 2. Korinther 5,19f.
Diese Verse aus dem 2. Korintherbrief werden am Karfreitag gepredigt, wenn wir bedenken, dass Gott einen Ausgleich geschaffen hat für begangenes Unrecht. Er hat es nicht einfach weggewischt. Es wurde bezahlt. Aber nicht von dem, der schuldig geworden ist, sondern von Gott selbst. Nicht der, der die Sünde begangen hat, wird verurteilt, sondern Gottes Sohn – um die Versöhnung zu bewirken. Jesus hat nicht umsonst das Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt. Es ist nicht der Heimgekehrte, der die Schulden bezahlt. Es ist der Vater selbst. „Geht aufs Haus.“ Weil ihm so viel daran liegt, seinen verlorenen Sohn oder seine verlorene Tochter wieder bei sich zu haben.
„So bitten wir nun“, schreibt Paulus „lasst euch versöhnen mit Gott.“ Vergesst die Scham und das schlechte Gewissen, die Eitelkeit und die Berechnung, die Klügelei und die Überheblichkeit. Seid einfach dankbar und ergreift die ausgestreckte Hand Gottes.
Versöhnung, die ich mir selbst anbiete
Versöhnung kann auch ein Angebot sein, dass ich mir selbst mache. Nämlich mich zu versöhnen mit dem, das anders ist, als ich meinte, wie es hätte sein müssen, damit ich zu meinem Recht komme. Das kann ich als Unrecht oder Kränkung, als Schmerz in meinem Leben stehen lassen. Unversöhnlich. Oder ich biete mir selbst Versöhnung an und nehme diese Versöhnung an, damit ich mit mir und meinem Lebensweg ins Reine komme. Damit ich Frieden schließen kann mit meinem Leben, versöhnt mit meiner Geschichte – und versöhnt mit Gott – leben und auch sterben kann.
Das ist nicht leicht. Denn wir müssen uns selbst verzeihen, dass wir Dinge haben mit uns machen lassen. Dass wir eigene Interessen nicht deutlicher formuliert oder zu hart durchgesetzt haben. Wir müssen uns verzeihen, dass wir falsche Entscheidungen getroffen haben, obwohl wir vielleicht deutlich gewarnt worden waren. Wir haben es damals nicht besser gewusst. Es schien zu der Zeit die richtige Entscheidung. Jetzt sehe ich das anders. Aber ich weiß nicht, wie ich das in 20 Jahren sehe. Auch Entscheidungen, die ich jetzt treffe, sind Entscheidungen, die vielleicht nicht richtig sind.
Bitterkeit
Mit dem eigenen Leben nicht versöhnt zu sein, macht bitter. Vielleicht wollen wir das, weil die Bitterkeit das Einzige ist, was uns geblieben ist. Und weil wir durch unsere Bitterkeit anderen zeigen wollen, dass sie uns Unrecht getan haben und ihnen Schuldgefühle machen möchten. Nur leider zeigt die Erfahrung, dass es dadurch nicht besser wird. Dass es mir nicht besser geht, wenn ich unversöhnt und unversöhnlich bin und dass es im schlimmsten Fall dem anderen egal ist.
Es ist ein zutiefst geistlicher Akt, zu sich selbst zu sagen: Gott hat mir die Hand zur Versöhnung gereicht. Auch ich reiche mir die Hand und bitte mich selbst, in diese Versöhnung einzuwilligen. Nur so wird Friede werden. „Ein offenes Tor in einer Mauer“, wie Jürgen Werth gedichtet hat.
Dem anderen Versöhnung anbieten
Ich kann Versöhnung auch einem anderen Menschen anbieten: „Komm, wir wollen uns wieder gut sein.“ Versöhnung kostet. Versöhnung kostet den etwas, der sie anbietet, weil er auf sein Recht verzichtet und auf Gerechtigkeit nach menschlichen Maßstäben. Stattdessen wählen wir den Maßstab Gottes, bei dem Gerechtigkeit „Gnade“ heißt. Versöhnung kostet auch den etwas, der sie annimmt. Der, der Versöhnung anbietet, bringt das größere Opfer. Er verzichtet auf sein Recht und auf Wiedergutmachung, so wie Gott auf sein Recht verzichtet hat.
Versöhnung kostet. Versöhnung kostet den etwas, der sie anbietet, weil er auf sein Recht verzichtet und auf Gerechtigkeit nach menschlichen Maßstäben. Stattdessen wählen wir den Maßstab Gottes, bei dem Gerechtigkeit „Gnade“ heißt. Versöhnung kostet auch den etwas, der sie annimmt. Der, der Versöhnung anbietet, bringt das größere Opfer. Er verzichtet auf sein Recht und auf Wiedergutmachung, so wie Gott auf sein Recht verzichtet hat.
Friederike Wagner
Versöhnt leben heißt: Verzeihen können: Den Eltern, Geschwistern, dem Partner, den Kindern. Denen, die einen enttäuscht oder verlassen haben. Wie bedrückend und schlimm es ist, wenn keine Versöhnung stattgefunden hat oder wenn eine ausgestreckte Hand nicht angenommen wurde, erlebe ich besonders schmerzlich bei Beerdigungen. Da stehen Kinder des Verstorbenen abseits vom Grab oder von den Geschwistern. Es lässt sich nicht wieder gutmachen, was versäumt wurde. Leider erlebe ich das auch bei frommen Menschen, dass es ihnen nicht gelingt, über ihren Schatten zu springen. Sie tragen die zur Versöhnung ausgestreckte Hand zu ergreifen, uns Unversöhnlichkeit oder Bitterkeit wie eine Flagge vor sich selbst und anderen Menschen die Versöhnung anzubieten her.
Versöhnt leben
Deshalb ist es so wichtig ausgestreckte Hände anzunehmen und nicht auszuschlagen. Die Folge von Unversöhnlichkeit beschreibt der Hebräerbrief folgendermaßen: „Seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume; dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte …“ (Hebräer 12,15).
Unser Ziel und unser Wille müssen dahin gehen, Gottes zur Versöhnung ausgestreckte Hand zu ergreifen, uns selbst und anderen Menschen die Versöhnung anzubieten und Frieden mit uns und mit Gott zu schließen. Eines geht nicht ohne das andere. „Wie der Frühling, wie der Morgen, wie ein Lied, wie ein Gedicht, wie das Leben, wie die Liebe, wie Gott selbst, das wahre Licht. So ist Versöhnung. So muss der wahre Friede sein.“