02/2023

Schnelllebige Zeiten

Den Rhythmus Gottes einüben

Die Langsamkeit der Kinder

Es ist unglaublich: Mein Sohn rupft Gras. 5 Minuten. 10 Minuten. 20 Minuten. Er rupft einfach nur Gras. Er denkt nicht daran, dass gerade über ihm ein Gewitter aufzieht und er gleich nass wird. Meine Tochter sitzt in der Badewanne, füllt Wasser in ein kleines Eimerchen und leert es wieder aus. Diesen Vorgang wiederholt sie wieder und wieder. Am liebsten mag sie es, wenn ich dabeisitze und ihr zusehe. Sie denkt nicht daran, dass ich Wäsche abhängen sollte, damit sie frische Bodys im Schrank hat. Mein Sohn sitzt auf der Toilette und redet vor sich hin. Manchmal nicht mal das. Er verarbeitet die Eindrücke des Vormittags. Ihm ist es egal, dass er mal wieder einen Großteil des Mittagessens verpasst.

Kinder wissen, dass Mama und Papa sich schon darum kümmern werden, dass sie satt sind, Kleidung haben und schlafen können. Sie vertrauen. Sie sorgen nicht vor. Sie leben zeitloser als wir Erwachsene. Sie tun die Dinge langsamer. Sie brauchen täglich Ruhezeiten, damit es ihnen emotional und körperlich gut geht.

Wer wünscht sich nicht auch manchmal ein langsameres Lebenstempo? Wer wünscht sich nicht ein Stück dieser kindlichen, vertrauensvollen Gelassenheit für sich selbst? Jesus sagt nicht umsonst zu seinen Jüngern: „Amen, das sage ich euch: Ihr müsst euch ändern und wie die Kinder werden. Nur so könnt ihr ins Himmelreich kommen“ (Mt 18,3). Und an anderer Stelle: „Amen, das sage ich euch: Wer sich das Reich Gottes nicht wie ein Kind schenken lässt, wird nie hineinkommen“ (Lk 18,17). Gott mag es, wenn wir uns ihm in kindlicher Art anvertrauen und uns mit seiner Gnade beschenken lassen.

Die Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft

Doch selbst wer im Vertrauen auf Gott seinen Alltag meistert, wird nicht die Gelassenheit meiner Kinder mitbringen können. Denn es wird viel gefordert. Im Beruf hängt die Messlatte hoch. Zu Hause wartet der Haushalt, der Reifenwechsel, die ungeöffnete Post. Die Kinder wollen die meiste Zeit des Tages beschäftigt und beachtet werden. Da sind die täglich zu beantwortenden Mails und WhatsApps und die aktuellen Nachrichten aus der Welt. In der Gemeinde sind Mitarbeiter immer willkommen und am besten, man bringt sich auch bei der Backaktion des Kindergartens ein. Und dann gibt es noch Freunde, Feste und Hobbys. Wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Wir wollen möglichst auf nichts verzichten und haben uns angewöhnt, viele Dinge parallel zu tun, um unsere Zeit optimal zu nutzen.

Gottes Rhythmen für uns

Was wir bei dem Vielen bedenken sollten: Gott hat unseren Tagen von Anfang an eine Struktur gegeben. Gott schafft das Licht und die Finsternis, den Tag und die Nacht (vgl. 1Mo 1,3-5). Mit der Finsternis setzt Gott dem Menschen und seinem Tun eine Grenze. „Geht die Sonne auf […], macht sich der Mensch ans Werk und tut seine Arbeit bis zum Abend. Wie zahlreich sind deine Werke, Herr. […] Die Erde ist voll von deinen Gütern.“ (Ps 104,22-24). Der Mensch ist nicht Gott – nicht allzeit verfügbar und unbegrenzt leistungsfähig. Der Mensch ist ein begrenztes Geschöpf. Er erhebt sich über seine Position, wenn er alles selbst im Griff haben will. Am Abend und in der Nacht loszulassen und die von Gott gegebenen Grenzen anzunehmen, ist die beständige Aufgabe des Menschen. Wir sollten uns und unsere Arbeit nicht vergotten, denn wir alle leben letztlich von Gottes zahlreichen Werken und von Gottes Gütern.

Wir wollen möglichst auf nichts verzichten und haben uns angewöhnt, viele Dinge parallel zu tun, um unsere Zeit optimal zu nutzen.

Lydia Schneckenburger

Gott selbst ruht am siebten Tag von seiner Arbeit. Dieser siebte Tag (7 = heilige/göttliche Zahl; 6 = Zahl des Menschen) bildet als Ruhetag den Höhepunkt von Gottes Schöpfung und gibt uns einen Lebensrhythmus vor: „Sechs Tage in der Woche darfst du jede Arbeit tun. Aber der siebte Tag ist ein Ruhetag. Er gehört dem Herrn, deinem Gott. An diesem Tag darfst du keine Arbeit tun […]. Denn in sechs Tagen hat der Herr den Himmel, die Erde und das Meer gemacht – mit allem, was dort lebt. Aber am siebten Tag ruhte er. Deswegen hat der Herr den Ruhetag gesegnet und ihn zu einem heiligen Tag gemacht“ (2Mo 20,9-11). Gottes Rhythmen anzunehmen bedeutet, loszulassen und abzugeben – unser Tun, unsere Erwartungen und unsere Pläne zu begrenzen. Es bedeutet, einen Schritt zurückzutreten und eine andere Rolle einzunehmen: vom produktiven, schaffenden, über die Natur herrschenden Weltgestalter zum empfangenden, ruhenden, Gott lobenden Geschöpf. Zu beidem sind wir von Gott beauftragt.

Gottes Rhythmen anzunehmen heißt, sich in kindlicher Weise seiner erhaltenden Gnade und Fürsorge anzuvertrauen. Es bedeutet, im Wissen um Gottes Gegenwart gelassen zu werden wie ein Kind, das in der Gegenwart seiner Eltern entspannt. Georg Thurmair formuliert es in einem Abendgebet so: „Dein [Gottes] Name soll gepriesen sein, er soll uns in den Schlaf hinein und durch die Nacht begleiten, damit wir alle insgemein in Ruhen und in Tätigsein dein Reich allhier bereiten.“

Von der Theorie zur Praxis

Gott hat uns hilfreiche Rhythmen vorgegeben, die von jedem Menschen mit Leben gefüllt werden müssen. Wie finde ich einen guten Lebensrhythmus – als Mutter mit unruhigen Nächten, als Krankenschwester oder Pfarrer mit Wochenenddiensten, als Schichtarbeiter, als erfolgreicher Ingenieur mit vielen Überstunden, als … (setzen Sie sich selbst ein)? Wo ist Platz für „Sabbat-Zeiten“, durch die ich immer wieder neu meinen Platz als auf Gott angewiesenes Geschöpf finde? Was hilft mir, zu verlangsamen und was hilft mir, in dieser schnelllebigen Zeit zu überleben?

Der Blick auf Jesus tut mir gut. Als Jesus viele Menschen lehrte und heilte, suchte er einsame Orte auf, um allein zu sein und in Ruhe das Gespräch mit Gott zu suchen. Er verlässt die Stadt (vgl. Mk 1,35), besteigt einen Berg (vgl. Mk 6,46) oder wählt bewusst die frühen Morgenstunden (vgl. Lk 4,42). Er braucht Erholung und schläft – sogar während eines schlimmen Sturms (vgl. Mt 8,24). Jesus muss weg. Raus aus dem Trubel und an einen anderen Ort zu gehen, hilft, um Abstand zu gewinnen, sich körperlich zu erholen und frei zu werden für das Gespräch mit Gott – zumindest, wenn man verlernt hat, diese Dinge in den normalen Wochenrhythmus zu integrieren. Ein Spaziergang an der frischen Luft, eine Auto-Auszeit an einer Parkmöglichkeit mit Weitsicht, eine versteckte Parkbank oder sogar ein Stilles Wochenende mit genug Schlaf, Essen, Bibel und Schreibzeug können helfen, um unseren Alltag zu verlangsamen.

Es gilt, seinem Körper und seiner Seele Raum zu geben, indem man den Funktionsmodus ablegt und sich im Wahrnehmen übt: Ich spüre meine Beine beim Spazieren gehen. Da bin ich – als Person, als Geschöpf, nicht „nur“ als Mutter, Ehefrau etc. Ich spüre den Wind. Zuerst sehe ich nur den Weg vor mir, dann aber nehme ich die bunten Blätter wahr, das grüne Gras, die Wolken – und richte meine Wahrnehmung auf meinen Schöpfer, der das alles gemacht hat und der mich kennt. In dieser Wahrnehmung verharre ich und formuliere es als Gebet: „Danke für die Schönheit deiner Natur! Hier bin ich, dein Geschöpf. Ich brauche Erholung, Schlaf, Kraft. Ich will so vieles selbst bewältigen. Ich habe meine Aufgaben. Aber vor allem brauche ich dich, deine Geduld mit mir und deine Gnade. Du bist doch mein Herr.“ Mit der Zeit werde ich dann auch frei, um die Menschen, die mich in meinem Leben umgeben, aus einer anderen Sicht wahrzunehmen und für sie beten zu können. Es ist ein anderes Gebet als die Alltagsgebete zwischendurch oder als ein Abendgebet. Es hilft, die kreisenden Gedanken bei Gott zur Ruhe kommen zu lassen, ihn wahrzunehmen und zu bestaunen und zu einer vertrauenden und gelassenen Haltung zu finden.

Verlangsamende Alltagsgewohnheiten

Eingeübte Gewohnheiten können uns helfen, in der Alltagsgestaltung, im Wochenablauf oder im Jahresrhythmus Langsamkeit in unseren Tagesablauf und in unsere Gedanken zu bringen. Solche Gewohnheiten können sein:

Natürliche Verzögerungen nutzen, um sich zu erholen und den Kontakt zu Gott zu suchen:

  • die Zeit im Wartezimmer beim Arzt,
  • die tägliche Staustrecke,
  • der Toilettengang auf der Arbeit,
  • das Rausgehen mit den Kindern an schöne Orte, an
  • denen man selbst gerne ist,

Tagzeitengebete, die das Innehalten und die Begegnung mit Gott im Alltag fördern. Eine bestimmte Spazierrunde, Radstrecke oder Joggingrunde, die der inneren und äußeren Erholung dienen soll.

Freie Tage oder regelmäßige Wochenenden, die zum (gemeinsamen) Erholen im Kalender stehen – nicht für Erledigungen oder Besuche.

Zwei Wochen Jahresurlaub am Stück, um wirklich Abstand zum Alltag zu bekommen und sich innerlich
sortieren zu können.

Wir leben in einer schnelllebigen Gesellschaft. Dennoch gibt es Tag und Nacht, Arbeitstage und Ruhetage. Wir sind Geschöpfe, nicht der Schöpfer. Aber wir sind die Kinder unseres Schöpfers und Vaters! Wir dürfen in kindlicher Weise uns seiner erhaltenden Gnade anvertrauen und mit ihm immer wieder neu den Rhythmus von Arbeit und Ruhe, von Trubel und Langsamkeit einüben.

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