Adam und Eva (1. Mose 3,8)
Die erste biblisch berichtete Schockstarre der Menschheit fand hinter einem Baum statt. Starr vor Angst, Schreck und Schuldbewusstsein standen dort eine Frau und ein Mann und versuchten, sich vor Gott zu verstecken, indem sie sich möglichst nicht mucksten. Es nutzte nichts. Gott holte sie hervor, sie mussten sich ihrem Versagen stellen, die Konsequenzen tragen und erlebten dennoch: Das Leben ging weiter. Anders, schwerer, belasteter – aber dennoch unter Gottes Segen .
Mose (2. Mose 3-4)
Unmöglich schien der Auftrag, viel zu gefährlich die Ausführung, völlig unzureichend die dafür vorhandenen Begabungen. Auch Mose war starr vor Angst, aber sein Mundwerk funktionierte noch bestens, zumindest, wenn es darum ging, Gott davon zu überzeugen, dass dieser Auftrag, den er ihm geben wollte, bar von jeglichen Erfolgsaussichten war. Gott ließ den hasenfüßigen Mose mit großer Geduld plappern und argumentieren, doch dann – Schockstarre hin, Schockstarre her – schickte er ihn dennoch auf den Weg. Fortan ließ er ihn immer wieder erfahren, dass den Herrn aller Herren nichts aufhalten kann.
Josua (Josua 6)
Auch Josua und das Volk haben das erlebt. Doch nun stand da Jericho im Weg. Groß, klotzig und uneinnehmbar. War alles vergebens? Die Flucht aus Ägypten, die vierzig Jahre Wüstenleben, das Festhalten am Traum vom gelobten Land? Fast wären sie wieder in Schockstarre verfallen angesichts der Unüberwindlichkeit dieses Hindernisses. Wäre da nicht Gott mit dieser völlig abseitigen, aber in der Durchführung gar nicht so schweren Idee ums Eck gekommen: Jericho? Das kriegen wir nicht mit Waffengewalt, aber mit dem Posaunenchor geknackt! Und wieder diese Erfahrung: Gott lässt sich nicht
aufhalten und kann zum Sound einer Posaune Unüberwindliches hinwegblasen.
Schockstarre: auch Angststarre genannt, ist eigentlich ein medizinischer Begriff, der einen psychischen Ausnahmezustand beschreibt. Hervorgerufen wird dieser durch die Ausschüttung des Stresshormons Adrenalin in Gefahrensituationen durch das sog. Nebennierenmark. Eigentlich soll das Adrenalin den Organismus in die Lage versetzen, mit Höchstleistung zu kämpfen oder zu fliehen. Dabei wird das Adrenalin dann wieder abge baut. Kommt es aber zu keiner Kampf- oder Fluchtreaktion, kann durch den hohen Adrenalingehalt die Schockstarre eintreten. Dabei sinkt der Herzschlag, Muskeln werden steif, die Kontrolle über Körperfunktionen geht ganz oder teilweise verloren. Dieses „Erstarren vor Angst“ ist sprich wörtlich für viele Alltagssituationen geworden.
David (1. Samuel 17)
Da stand er nun, der Riesenhühne. Gewaltig. gepanzert, vierschrötig, narbenübersäht und höhnisch grinsend, ein Finsterling wie aus dem Fantasyroman. Keiner kam an ihm vorbei, ohne sein Leben zu riskieren. Schockstarr waren sie angesichts dieser Gefahr, und guter Rat war teuer: Wer hat die Muskeln, wer den Mut, wer die Panzerung, wer die größte Waffe und wer kann hier eigentlich wenigstens einer ein bisschen Judo oder Karate? Niemand fand sich, weil es niemanden gab. Dann war da plötzlich der gutaussehende Junge aus Bethlehem mit seinem lächerlichen Hirtenstöckchen und seiner noch viel lächerlicheren Schleuder, gerade gut genug zur Vogeljagd. Womit keiner rechnete, weder der großspurige Riese noch das schlotternde Gottesvolk, es geschah eben wieder: Ein junger Kerl schleuderte einen kleinen Stein im Auftrag und unter dem Schutz Gottes und der Unbesiegbare kippte aus den Sandalen. Das Staunen war allgemein.
So ging es weiter. Durch die Jahrzehnte und Jahrhunderte, eine Schockstarre folgte auf die nächste und immer wieder die Erfahrung: Gott kann man nicht ausbremsen. Angst und Schockstarre sind für ihn kein Problem. Das einzig wirklich große Problem ist das, was dahintersteckt: Die Dummheit des Menschen, immer wieder zu meinen, ohne Gott besser auskommen zu können, sich dadurch in unlösbare Situationen zu bringen und dann mit den Konsequenzen überfordert zu sein. Die Bibel nennt das bekannterweise kurz und knapp Sünde. Man kann diese sinnbildlich auch als eine Art „Schockstarre“ bezeichnen und Jesus kam, um hier im wahrsten Sinne des Wortes etwas zu (er-)lösen.
Petrus (Lukas 22,54 ff.)
Die Schockstarre löste sich in dem Moment, als irgendwo dieser Gockel krähte und ihm schlagartig klar wurde, was er getan hatte. Ehrlich, das war jetzt so viel schlimmer als die auch schon krasse Angst, die er vorhin empfunden hatte, als ihm diese penetrante Magd auf die Pelle gerückt war mit ihrem „Dich kenn ich doch“. Gezittert hatte er am ganzen Leib, einen trocknen Mund hatte er gehabt und nur die eine Hoffnung, dass sie es nicht bemerken würde. Und jetzt? Jetzt war eingetreten, was Jesus vorhergesehen hatte, und das unselige Krähen hatte ihn aus der Starre geholt und in die brutale Realität gezerrt. Die Realität, in der aus dem coolen, hingebungsvollen und überzeugtesten aller Jesusjünger ein jämmerlicher Verräter geworden war, dessen Glaube und Hingabe aber auch nicht einen Schekel wert waren.
Dann war dieser jämmerliche Mensch einer der ersten, der es am eigenen Leib erlebte, wie aus Schockstarre, Versagen und Jämmerlichkeit Vergebung, Neuanfang und Aufbruch in ein neues Leben wurde (Joh 21). Weil Jesus die große Schockstarre der Sünde überwunden hat, ein für alle Mal. Nie wieder darf sie eine Rolle spielen. Die kleinen und größeren Schockstarren unseres Lebens begleiten uns wahrscheinlich weiter, aber wir lernen, dass sie nicht das letzte Wort haben, dass man Gott auch heute nicht wirklich bremsen kann und dass hinter aller Erstarrung schon heute das Leben, der Neuanfang und große Wunder auf uns warten.