01/2024

Rechthaberei

Warum ist Rechthaben so schwierig?

Das größte Problem bei der Rechthaberei ist doch Folgendes: fast jeder Mensch ist sich ziemlich sicher, diese ohne größere Schwierigkeiten bei anderen diagnostizieren zu können. Gleichzeitig ist fast jeder ebenso sicher, selbst vom Problem nicht betroffen zu sein.

Offensichtlich ist die Rechthaberei ziemlich tief in unserem Wesen verankert.

Cornelius Haefele

Rechthaberei hat es schon immer gegeben. Offensichtlich ist die Rechthaberei ziemlich tief in unserem Wesen verankert. Am liebsten haben wir recht, weil wir die tiefe Überzeugung haben, im Recht zu sein. Alles andere geht gar nicht, wo kommen wir denn da hin? Gleichzeitig sagen wir im Brustton der Überzeugung: „Rechthaberisch? Ich? Auf k e i – n e n Fall!“ Was die Frage aufwirft: Warum ist uns das so unglaublich wichtig? Und was passiert denn Schlimmes, sollten wir mal nicht im Recht sein?

Definition

Was bedeutet eigentlich „rechthaberisch“? Wie immer gibt es verschiedene Definitionen. Im Kern sagen sie aber alle: ein rechthaberischer Mensch ist einer, der unbeweglich an seinem eigenen Standpunkt festhält, selbst wenn bewiesen oder offensichtlich ist, dass dieser nicht stimmt oder nicht hilfreich ist.

Der Anfang des Übels

Bevor wir uns dieses Problem von der psychologischen oder soziologischen Seite her anschauen, schauen wir zuerst auf den theologischen Standpunkt der Bibel. „Sollte Gott gesagt haben?“, ist die erste „rechthaberische Aussage“, die die Bibel überliefert (1Mo 3,1). Ganz offensichtlich hatte Gott etwas gesagt und genauso offensichtlich behauptet die „Schlange“ einfach mal frech das Gegenteil, als ob es die reine Wahrheit sei. Sie hat mit dieser Taktik „Erfolg“, aber gleichzeitig beginnt damit das ganze Elend, so jedenfalls deutet es die Heilige Schrift. „Rechthaberei“ ist seither ein Teil unseres Wesens geworden.

Das Problem

Viele Menschen erleben es persönlich fast schon existenziell als Bedrohung, wenn ihnen das Gefühl vermittelt wird, nicht im Recht zu sein. Fast sofort geht es dann gar nicht mehr um die Frage, was jetzt richtig oder falsch ist, sondern ob und wie sehr ich mein Gesicht verliere oder nicht. Sollte sich meine Meinung, mein Wissen oder mein Können als nicht richtig darstellen, fühle ich mich zutiefst
bloßgestellt, gedemütigt und beschämt. Darum tun viele Menschen vieles, um genau das zu vermeiden. Die Taktik, einfach so zu tun, als ob das meine eben doch richtig sei und der oder die andere falsch liegt, scheint da am einfachsten zu sein.

Der Mechanismus

Psychologen haben, treffsicher wie sie oft sind, längst entlarvt, dass hinter diesem Mechanismus in der Regel ein geringes oder mindestens nicht gut entwickeltes Selbstwertgefühl steckt. Wenn ich selbst Zweifel an meinem Können, meinem Wissen oder gar meiner ganzen Person habe, reagiere ich besonders empfindlich, wenn dieser Zweifel auch noch von außen geschürt oder bestätigt wird. Dann fahre ich die Stacheln aus, werde wütend oder aggressiv und beharre auf meinem Standpunkt. Oder ich rette mich in eine nach außen zelebrierte, überzogen dargestellte Selbstsicherheit.

Das Phänomen

Soziologen untersuchen in der Geschichte und aktuell ausführlich folgendes Phänomen: Immer wieder geschieht es, dass sich ganze Bevölkerungsgruppen hinter solchen Selbstdarstellern versammeln und sich deren Rechthaberei zu eigen machen, auch wenn diese nachweisbar an vielen Stellen nicht stimmt. Die Geschichte unseres eigenen Volkes ist dafür ein unrühmliches Beispiel.

Wir Christen

Nun wäre es so schön, wenn wir Christen an dieser Stelle den großen Unterschied machen würden. Gerade weil wir wissen, dass wir trotz unserer ganzen Unzulänglichkeiten von unserem Gott so sehr geliebt werden, dass er sich nicht zu schade ist, sich für uns aufzuopfern. Menschen, die so geliebt und angenommen sind, müssten doch überhaupt gar kein Problem damit haben, jederzeit freimütig auch mal zuzugeben: da habe ich mich getäuscht, da war ich im Unrecht, da lasse ich mich korrigieren!

Gerade weil wir bei Jesus sehen und lernen, wie wenig er es nötig hatte, sich vor den Menschen zu profilieren und wie er seine Jünger immer wieder lehrte, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, weil sie das als seine Nachfolger doch gar nicht nötig hätten. Menschen, die so ein Vorbild haben, müssten doch eigentlich jederzeit einem anderen Menschen mit seiner Meinung, seinem Wissen oder seinem Können, vor allem wenn es richtig oder hilfreich ist, den Vortritt lassen können.

Viele Menschen erleben es persönlich fast schon existenziell als Bedrohung, wenn ihnen das Gefühl vermittelt wird, nicht im Recht zu sein.

Cornelius Haefele

Es wäre so wunderbar, wenn wir Christen in unserer Welt die wären, die es richtig gut verstanden und gelernt haben, verschiedene Meinungen, persönliche Stile, theologische Ansichten, spirituelle Eigenheiten, unterschiedliche ethische Bewertungen und sogar verschiedene denominationelle Zugehörigkeiten miteinander zu tragen und auszuhalten.

Leider erleben wir gerade in unseren Tagen, dass dies auch bei uns oft nicht gut gelingt und wir hier leider selten ein gutes (Vor-)Bild nach außen abgeben. Was könnte helfen?

Hilfreiches
  • Zuerst und vor allem, der Blick auf Jesus. Dieser lehrt mich mindestens zweierlei:
    • Ich bin von ihm angenommen, gerettet und geliebt, völlig unabhängig von meinem Wissen oder Können. Er schätzt mich wert. Dann muss ich nicht mehr immer recht haben, nur damit mein Selbstwertgefühl nicht leidet.
    • Jesus lehrte: Ihr gehört zu mir, ihr seid meine Leute, ihr gehört dem Herrn der Welt, darum habt ihr es nicht mehr nötig, nach den Maßstäben dieser Welt leben zu müssen oder davon euren Wert bestimmen zu lassen.
  • Ein gesundes Maß Selbstkritik: Mir hilft es, mir immer mal wieder klarzumachen, welch kluge Köpfe in der Geschichte oder der Kirchengeschichte sich mit tiefster Überzeugung unglaublich geirrt haben und auch mal daneben lagen. Das macht mich etwas vorsichtiger meinen eigenen Überzeugungen gegenüber und ich werde etwas leiser beim Hinausposaunen meiner Wahrheiten.

Ich wünsche uns allen, dass wir uns klarmachen: anstatt immer recht zu haben, will ich lieber das Recht haben, auch mal nicht recht haben zu müssen und den Mut, das fröhlich zuzugeben.

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