12/2022

Charitoó – Die Begnadete

Ein Engel verkündet einer Jungfrau, dass sie ein Kind gebären wird (Lk 1,26-38). Jedoch kein gewöhnliches Kind, sondern den Sohn Gottes. Und so außergewöhnlich wie es klingt, so außergewöhnlich soll dies auch geschehen. Auf die Frage von Maria, wie das geschehen soll (ohne mit einem Mann geschlafen zu haben), antwortet der Engel: „Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich über schatten.“ Ja, die Jungfrauengeburt ist sehr umstritten. Mich persönlich erstaunt aber etwas vollkommen anderes – Marias Antwort: „Mir geschehe, wie du gesagt hast“. Wie bitte? Da kommt der Engel Gabriel mit einer Botschaft von Gott, die total verrückt und unmöglich erscheint und Maria sagt einfach nur: “Ok! Einverstanden!“ Ihr ist sicher bewusst, was mit einer Frau, die ein uneheliches Kind bekommt, geschieht. Ihr droht entweder der Tod durch Steinigung oder eine Scheidung, die neben der großen Schande auch ein ungesichertes Leben ohne einen Mann bedeutet.

Diskussionslos

Ich finde Marias Antwort erstaunlich. Was ist passiert, dass Maria ohne Diskussion (z. B. Mose) oder Verhandlungen (z. B. Gideon) oder Zweifel (z. B. Zacharias) in das einwilligt, was Gott ihr durch den Engel Gabriel sagt? Maria ist zu diesem Zeitpunkt eine junge Frau, die zwischen 13 und 17 Jahre alt ist. Sie ist mit Josef verlobt und dadurch ist ihre Ehe bereits rechtskräftig. Doch noch hat ihr Verlobter sie nicht in sein Haus geholt. Maria lebt bei ihren Eltern und bereitet sich auf das Leben als Ehefrau und Mutter vor. Da kommt der Engel Gabriel, von Gott gesandt, zu ihr und spricht: „Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!“ Ihre Reaktion unterscheidet sich wieder von vielen anderen. „Maria aber erschrak über die Worte.“ Sie erschrickt nicht über den Engel selbst (wie Zacharias als Gabriel ihm im Tempel erschien), sondern über die gewählten Worte in seiner Begrüßung. Was bedeuten diese Grußworte?

Maria Antwort auf die Verheißung des Engels ist erstaunlich.
Grußformen

„Sei gegrüßt“ – im Urtext des Lukasevangeliums wird das griechische Wort „chaire“ verwendet. Es bedeutet „Freue dich“. Der Engel Gabriel sagt also zu ihr: „Freue dich!“ Und worüber? Was ist der Grund für diese Aufforderung? „Du Begnadete!“ Es fällt uns vielleicht schwer, die Bedeutung dieses alten Wortes zu verstehen. Vielleicht hilft es, wenn wir das Wort wieder im Urtext betrachten. Hier steht das griechische Wort „charitoó“ und bedeutet so viel wie „im hohen Maß begünstigt, umhüllt mit Gunst, Wohlwollen, Gefallen, mit Segnungen geehrt, mit Anmut betrachtet, mit Gnade erfüllt. Hochbegünstigt, weil empfänglich für Gottes Gnade.“

Gott spricht durch diese Worte Maria ihre wahre Identität zu. Vor dem Tun kommt das Sein und aus dem Sein kommt das Tun. Durch seine Worte zeigt er ihr sein Herz, seine Liebe und auch, dass er Maria diese Aufgabe zutraut. Weil er sie bereits mit allem ausgestattet hat, was sie dazu brauchen wird. So denkt Gott über Maria, so ist sie in seinen Augen! Kein Wunder überfiel Maria die Furcht – Ehrfurcht – über diesen Gruß.

Erkenntnis

Gott sieht in Marias Antwort ihren Glauben, bevor Maria es selbst sehen konnte. Woher kam dieser Glaube, dieses Gottvertrauen? Die Ausleger sind sich einig, dass Maria in einem frommen Elternhaus aufgewachsen ist und sich sehr gut in den Schriften auskannte. An ihrem Lobgesang in Lukas 1,46-55 kann man das gut erkennen. Vermutlich kannte sie alle Geschichten des Handeln Gottes mit seinem Volk und dieses Wissen prägte mit Sicherheit ihr Gottvertrauen und machte es ihr möglich, zu diesem unglaublich klingenden Vorhaben ihr „Ja“ zu geben. Außerdem bekommt sie einen ganz „frischen“ Beweis von Gottes Allmacht. Ihre Cousine Elisabeth, die schon alt ist und als unfruchtbar gilt, ist schwanger. „Bei Gott ist kein
Ding unmöglich“, sagt Gabriel zu Maria.

Gott spricht durch diese Worte Maria ihre wahre Identität zu. Vor dem Tun kommt das Sein und aus dem Sein kommt das Tun. Durch seine Worte zeigt er ihr sein Herz, seine Liebe und auch, dass er Maria diese Aufgabe zutraut. Weil er sie bereits mit allem ausgestattet hat, was sie dazu brauchen wird.

Viktoria Ruhland

Doch reicht das Wissen über Gottes Wesen und seine Taten, um sich Gott zu Verfügung zu stellen? Ich denke nicht. Maria kannte bis dahin Gott aus den Schriften, sie wusste viel über ihn. Doch nun erlebt sie eine persönliche Begegnung mit Gott durch sein Wort, das sie vom Engel Gabriel hört. Und weil Gottes Wort lebendig ist und voller Kraft, bewirkt es das, wozu Gott es sendet. Es kommt nicht leer zurück. Das Wort trennt Seele und Geist. Und im Geist erkennt Maria die Wahrheit dieser Worte. Sie hört seine Stimme und begegnet ihm! Ihr Geist ergreift Gottes Worte, denn mit dem Verstand können wir es nicht erfassen und glauben – und erst recht nicht darauf reagieren. Göttliches Reden und Handeln können wir nur durch den Heiligen Geist erkennen und diese Erkenntnis führt zur Anbetung, Hingabe und unserer Antwort. Diese Begegnung mit Gott ist der Auslöser für Marias Antwort.

Gottesbegegnung

Ist es nicht so, dass Menschen, die eine Gottesbegegnung haben und Gott in seiner ganzen Größe und Liebe erkennen, nicht anders können und auch nicht anders wollen, als sich Gott ganz hinzugeben? Gott ist durch und durch gut und in seiner Nähe, in seinem Willen zu sein, ist das Beste und das Schönste. Es erfüllt uns mit Frieden, Freude und Freiheit. Es ist sehr schwer, dieses Geheimnis in Worte zu fassen, es zu erklären und zu verstehen. Aber man kann es erleben. Die Bibel ist voll von solchen lebensverändernden Begegnungen. Auch heute begegnet uns Gott und redet zu uns. Nicht immer durch einen Engel aber immer so, dass wir es verstehen. Und da, wo das geschieht, geschieht das Wunder, dass wir bereit sind, vor ihm zu kapitulieren und uns ihm ganz hinzugeben. Dann können wir wie Maria sagen: „Mir geschehe, wie du gesagt hast!“ Oder mit den Worten einer heutigen Maria beten: „Herr, mach mit mir, was du willst, wo du willst, wann du willst, wie du willst, du darfst mich auf Null reduzieren. Aber verherrliche deinen Namen und schenke mir dabei Freude.“ (Maria Prean). Gott hat Maria „Begnadete“ genannt. Sie war vom Wohlwollen Gottes umhüllt. Das machte sie bereit, „Ja“ zu sagen.

Charitoó

Zum Schluss kommt noch das Beste: Das Wort „charitoó“, also „Begnadete“ kommt im ganzen Neuen Testament nur zwei Mal vor. Hier in Lukas 1,28 und in Epheser 1,5-6: „ ..er hat uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten.“ Gott sagt uns hier also genau dasselbe, was er durch Gabriel zu Maria gesagt hat. Du (setzen Sie Ihren eigenen Namen ein) bist im hohen Maß begünstigt, umhüllt mit Gunst und Wohlwollen, mit Segnungen geehrt, mit Anmut betrachtet, mit Gnade erfüllt. Hochbegünstigt, weil empfänglich für Gottes Gnade. So sieht Gott jede und jeden von uns in Christus! WOW!

Beitrag teilen: