08-09/2024

Also die Offenbarung …

Haefele fragt sich

Zunächst einmal stellt sich mir die Frage: Wer fragt sich bei der Offenbarung eigentlich nicht? Schließlich kann man sich da ja eine Menge fragen. Zum Beispiel: für wen wurde dieses Buch nun wirklich geschrieben? Natürlich weiß ich, dass es zuallererst für die sich damals in einer Verfolgungssituation befindende Gemeinde geschrieben wurde. Nun lebe ich aber fast 2000 Jahre später. Und da ist dann schon die Frage: Gilt diese Schrift, im genau gleichen Maße auch noch für uns heute? Schließlich wurde diese für eine ganz spezielle Situation geschrieben. Diese Frage kann man sich nun im Grunde in Bezug auf alle Bücher der Bibel stellen und die Antwort darauf ist auch klar: Ja, wir gehen davon aus, dass wir es hier mit Gottes Wort zu tun haben und schon deshalb nehmen wir es vollkommen ernst. Was uns aber nicht der Frage enthebt: Was bedeutete das alles damals und was kann es dann heute für uns bedeuten? Denn die antike Welt ist nun halt schon ein Weilchen Vergangenheit …

Anders als alles andere

Wenn man sich in die Offenbarung einliest, wird einem schnell klar, dass man es hier mit einem Schreiben zu tun hat, das völlig anders ist als alle anderen Schriften im Neuen Testament. Es quillt nur so über von rätselhaften Bildern, der Beschreibung ganz merkwürdiger Vorgänge und dann die erwähnten Figuren, von denen mehr als nur eine schwer einzuordnen ist. Düstere Szenarien und Prognosen stehen direkt neben Beschreibungen von ganz wunderbaren, märchenhaft und paradiesisch anmutenden Orten und Zeiten.

So richtig skurril wird es dann aber erst, wenn man sich ein wenig mit der Auslegungsgeschichte der Offenbarung beschäftigt. Ach du meine Güte! Was haben sich Menschen Gedanken gemacht, was das alles zu bedeuten hat. Manchmal bis in das kleinste hinein wurde ausgelegt, hineingelesen, herausgefunden, durchschaut, visionär erfasst, einfach mal behauptet und leider viel zu oft wild spekuliert. Im Nachhinein ist dann immer irgendwie klar, dass meistens nichts Gescheites herauskam. Und dass, obwohl durchaus gescheite Köpfe am Werk waren. Also mindestens gescheitere als der meine. Genau da frag ich mich schon, warum es trotz allem bis heute so ist, dass immer wieder neue Köpfe auftauchen – gescheite und auch nicht so gescheite –, die mit großer Selbstverständlichkeit behaupten, sie wüssten ganz genau, was das alles für heute bedeutet. Und dann wird wieder ausgelegt, hineingelesen, herausgefunden, durchschaut, visionär erfasst, einfach mal behauptet … und wild spekuliert.

Zwar kann man in jedem ernstzunehmenden seriösen Kommentar in der Einleitung lesen, es handle sich bei der Offenbarung um ein Trostbuch für die damalige Gemeinde in der Verfolgung. Aber früher oder später kommen dann doch die Stellen, wo aktuelle Geschehnisse wie Pandemien, Kriege, die Krise der Kirche in der westlichen Welt, der jeweilige Papst, die Anzahl der EU-Staaten, die NATO, die Energiekrise, die Erderwärmung und wahrscheinlich auch Elon Musk zweifelsfrei in den Texten identifiziert, demaskiert und genüsslich präsentiert werden.

Ich frag mich halt …

Muss man das? Ist das wirklich der Sinn dieses Buches? Wurde es dafür geschrieben, dass jeder berufene oder auch nicht so berufene theologisch interessierte Mensch hier eine bunte Spielwiese für seine eigenen Fantasien und Ideen finden darf?

Oder wäre es doch gut, sich diesem Buch mit einer gehörigen Portion Vorsicht und vor allem Demut zu nähern? Der Demut, die sich klarmacht, größere als ich, zum Beispiel Albrecht Bengel, und auch noch andere Pietismus- Väter, haben nicht komplett alles richtig verstanden und ausgelegt. Sollte ich wirklich der erste sein, dem das gelingt? Übrigens ist auch dieser „Ansatz“ nicht neu oder gar von mir erfunden. Große Theologen waren ebenfalls dieser Meinung, manche sogar so radikal wie Johannes Calvin, der gesagt haben soll: „Ich lasse die Offenbarung weg, denn es ist ein Buch, das eine vorsichtige Handhabung erfordert.“ Kann man natürlich machen. Da frag ich mich dann aber, ob das wirklich eine Lösung ist. Interessanterweise waren sich Calvin und Luther in Bezug auf die Offenbarung einig. Beide fanden sie irgendwie schwierig und fremdelten damit. Luther meinte mal: „Mein Geist kann sich in dieses Buch nicht finden.“ Das zum Trost allen, die ihre Mühe damit haben.

Der zeitgenössische englische Theologe N. T. Wright sagt: „Das Buch der Offenbarung ist eine Herausforderung und sollte mit großer Vorsicht und Sensibilität interpretiert werden. Wir müssen uns bemühen, die historische und kulturelle Kontextualität zu verstehen, bevor wir zu Schlussfolgerungen kommen.“ Hört sich nach richtig Arbeit an, scheint mir aber angemessen zu sein.

Also …

arbeiten wir damit, reiben wir uns daran, lassen wir uns irritieren und inspirieren von diesem spannenden, rätselhaften alten Buch und seien wir bereit, es immer wieder neu zu entdecken und zu verstehen. Mit einer gehörigen Portion Demut und Zurückhaltung und gleichzeitig dem fröhlichen Mut eines Entdeckers oder einer Entdeckerin. Der Neutestamentler Craig Keener schrieb einmal: „Die Offenbarung bietet uns eine kraftvolle Vision von Gottes endgültigem Sieg über das Böse und der Wiederherstellung aller Dinge. Es ist eine Quelle der Hoffnung und des Trostes für alle Gläubigen.“ Nichts wie auf, zur Hoffnungssuche!

Cornelius Haefele

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